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Entstehung und Entwicklung

Zwischen Globalisierungskritik und neu erstarkten feministischen Bewegungen – die Anfänge der FIZ in den 80er- und 90er-Jahren

Es war einmal … 
… eine Reportage über die Lebensrealität einer ausgebeuteten philippinischen Sexarbeiterin in einem Zürcher Nachtclub, die das Westschweizer Fernsehen 1981 ausstrahlte. Aufgeschreckt von dieser Reportage, rief Regula Renschler von der Erklärung von Bern (EvB, heute Public Eye) verschiedene NGOs (Nichtregierungsorganisationen) an einen Tisch und lancierte die Idee einer Fachstelle gegen Frauenhandel. Im Februar 1985 wurde schliesslich die FIZ als Fraueninformationszentrum Dritte Welt gegründet. 
Das Fraueninformationszentrum wollte Frauen* aus der «Dritten Welt»** unterstützen, die Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre zunehmend aus Asien, Afrika und Lateinamerika in die Schweiz kamen. Die ersten Positionspapiere der FIZ beschreiben die restriktive Handhabung von Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen, die zu grossen Abhängigkeiten führte. Viele in die Schweiz migrierte Frauen kannten zudem weder die lokale Sprache noch ihre Rechte. Frauenhäuser, kirchliche und soziale Institutionen waren mit deren vielfältigen Problemen überfordert. In diesem Vakuum entstand die FIZ. 

Die Gründung der FIZ war die Folge diverser gesellschaftspolitischer Entwicklungen in den vorhergehenden Jahren respektive Jahrzehnten: 

• In den 70er-Jahren ist in der Schweiz, als Folge der 68er-Proteste, eine neue, autonome Frauenbewegung entstanden, deren Fokus das Thema
Gewalt an Frauen war. 1979 haben Aktivistinnen das erste Frauenhaus der Schweiz gegründet.

 

• In der Schweiz gab es eine starke entwicklungspolitische Bewegung, die sich mit Weltregionen solidarisierte, die zur  Zeit des Kalten Krieges als «Dritte Welt» bezeichnet wurden. Der Begriff war zunehmend globalisierungskritisch geladen und wendete sich gegen die Schuldenpolitik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Ausbeutung durch die kapitalistischen Länder.
 

• In den 70er-Jahren nahm der Massentourismus zu, weil die Mobilität beschleunigt und mit der gestiegenen Kaufkraft für breitere Bevölkerungsschichten westlicher Länder erschwinglicher wurde. Diese Umstände vereinfachten auch den Transfer von Arbeitskräften rund um den Globus: Menschen wurden mittels falscher Versprechungen in Industrieländer gelockt, um Arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen auszuführen.
 

• Die «Erholungsprogramme» für amerikanische Soldaten in südostasiatischen Ländern sowie die allgemeine Tourismusförderung belebten die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen. Zusammen mit dem Mobilitätsanstieg führte dies zu einer Zunahme des «Sextourismus» in oftmals nicht-europäischen Ländern.
 

• Die ausländerrechtliche Gesetzgebung in der Schweiz war gegenüber Personen aus Drittstaaten sehr restriktiv und von sexistischen Vorstellungen geprägt: Sie erteilte Frauen aus Drittstaaten nur eine Aufenthaltsbewilligung als «Ehepartnerinnen» oder mittels «Künstlerinnen-Bewilligung», die es ihnen erlaubte, für max. acht Monate pro Jahr als «Cabaret-Tänzerinnen» zu arbeiten. Die legale Migration aus Ländern des globalen Südens zeigte sich deshalb vor allem in der Sexarbeit. 

Im Wissen um diese gesellschaftspolitischen Strömungen Mitte der 80er-Jahre lässt sich besser verstehen, warum damals der Fokus der FIZ auf Frauen aus dem südostasiatischen Raum und der Karibik lag, warum die Kritik an der Politik des IWF selbstverständlich zur Öffentlichkeitsarbeit der Organisation gehörte und warum damals die globale Vernetzung mit Personen und Organisationen aus den Herkunftsländern vieler Klient*innen zentral war. 
«Das FIZ ist also ursprünglich aus entwicklungspolitischer Kritik entstanden, da damals fast alle betroffenen Frauen in der Schweiz aus der sogenannten Dritten Welt stammten, und es verfügte von Anfang an über ein globales Netzwerk», unterstreicht Regula Renschler rückblickend. 
Erst Mitte der 90er-Jahre suchten immer mehr Frauen aus Osteuropa die Beratung und Unterstützung der FIZ auf. Somit verschob sich der Fokus weg von den ursprünglichen Herkunftsländern. Nicht nur die Herkunft der Klient*innen veränderte sich; auch im Selbstverständnis wendete sich die FIZ zusehends von den entwicklungspolitischen Hintergründen ab, hin zur konkreten Situation der gewaltbetroffenen Migrant*innen in der Schweiz. Dies widerspiegelte sich auch darin, dass innerhalb der FIZ Projekte mit spezifischen migrantischen Gruppen sowie in Herkunftsländern von Klient*innen abnahmen. 
In diesem ersten Block gehen wir den Ursprüngen der FIZ vertieft nach. Den Anfang macht ein Gespräch mit unserer Mitarbeiterin Carminha Pereira, die drei der vier Jahrzehnte unserer Geschichte miterlebt hat. Ein weiteres Gespräch mit der ersten Staatsanwältin der Schweiz eröffnet den Blick auf die gesellschaftspolitische Lage zur Gründungszeit der FIZ. Abgerundet wird der Block durch einen Kommentar zur damaligen Finanzierung durch die Kirchen – und deren Bedeutung bis heute.

30 Jahre FIZ

Carminha Pereira blickt zurück 

Während wir dieses Jahr unseren 40. Geburtstag feiern, durfte unsere Mitarbeiterin Carminha Pereira kürzlich ein anderes Jubiläum zelebrieren: 30 Jahre bei der FIZ. Zuerst als Beraterin tätig, wurde sie später zur Personal- und Finanzverantwortlichen in der Geschäftsleitung – in beiden Funktionen prägte sie die FIZ nachhaltig. Nun müssen wir uns von ihr verabschieden; im Frühling 2025 wurde sie pensioniert. Zuvor wollten wir jedoch die Gelegenheit nutzen, im Gespräch aus erster Hand mehr über die Geschichte und die Entwicklung der FIZ zu erfahren.

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Carminha, du hast 1994 bei der FIZ angefangen: Welcher Weg führte dich damals zur FIZ?

Ich kam 1992 in die Schweiz, vorher lebte ich ein Jahr in Nigeria. Die Schweiz war ein komplett neues Land für mich, mit anderer Kultur und einer Sprache, die ich nicht beherrschte. Ich lernte zuerst intensiv Deutsch und machte mich auf die Suche nach einer Stelle, die mit meinen politischen Überzeugungen zusammenpasste. Es war nicht einfach als Migrantin. Irgendwann stiess ich auf ein Inserat der FIZ; sie suchten nach einer portugiesischen Muttersprachlerin für die Beratung von Frauen aus Brasilien und afrikanischen Ländern. Ich hatte mich bereits in Brasilien aktivistisch für Frauenrechte engagiert. Wir passten also ziemlich gut zusammen. Und als ich dann am Bewerbungsgespräch mit einem FIZ-Prospekt auftauchte, den ich von einer Freundin in Brasilien erhalten hatte, fühlte es sich wahrscheinlich für beide Seiten sehr passend an.

 

1992 startete die FIZ das Projekt «Chame» in Brasilien. Welchen Zweck verfolgte dieses Projekt?

Es war ein Projekt im Nordosten Brasiliens. Damals war ein grosser Teil der FIZ-Klientinnen aus Brasilien. Die FIZ erachtete es als wichtig, schon im Herkunftsland Präventionsarbeit zu leisten, damit Frauen im Vorfeld wahre Informationen hatten, wenn sie in die Schweiz oder überhaupt ins Ausland migrieren wollten. Ziel war nicht, Migration aufzuhalten, sondern vertrauenswürdige Informationsquellen zu bieten, um in einem emanzipatorischen Ansatz Betrug und falsche Angebote zu erkennen und Ausbeutung zu verhindern. Das Projekt hatte von Beginn an das Ziel, unabhängig von der FIZ weiter zu bestehen. Meine Vorgängerin - ebenfalls aus Brasilien - lernte die Realität der Migrantinnen in der Schweiz durch Beratungen kennen und führte mit diesem Wissen CHAME in Brasilien als unabhängige Organisation weiter. Ich führte dann die Beratungen in der Schweiz für Klientinnen mit portugiesischer (und englischer) Muttersprache weiter. Die enge internationale Zusammenarbeit mit Organisationen in verschiedenen (Herkunfts-)Ländern war und bleibt wichtig – wenn auch heute in anderer Form.

 

Als du damals bei der FIZ angefangen hast, wart ihr zu fünft. Drei von euch waren in der Beratung tätig. Mit welchen Problemen kamen die Frauen zur FIZ und wie war das gesellschaftliche Klima gegenüber den FIZ-Themen zu jener Zeit?

Die Diskriminierung, mit der Frauen zu kämpfen hatten, war in der Schweiz wie auch in anderen Ländern präsent. Speziell bei der FIZ war, dass sie die Dimensionen «Frau» und «Migrantin sein» verband und ihren Fokus auf Frauen aus der damals sogenannten Dritten Welt legte, die von der Gesellschaft bis dahin als «fremd» kategorisiert worden waren. In der Beratung waren die verschiedenen Facetten von Diskriminierung – als Frau, aufgrund des Herkunftslandes, der sozialen Schicht, des Aussehens oder der Hautfarbe – Thema. Die FIZ arbeitet also von jeher mit einem «intersektionalen» Ansatz, die Bezeichnung war einfach noch nicht verbreitet. Mit dem Fokus auf diese Zielgruppe, verbunden mit Themen wie Frauenhandel, Sexarbeit und häuslicher Gewalt, betrat die FIZ gesellschaftliches Neuland und leistete wichtige Sensibilisierungsarbeit. Beispielsweise trat 1992 das neue Bürgerrechtsgesetz in Kraft. Damit erhielten Migrantinnen bei einer Heirat mit einem Schweizer Bürger nicht mehr direkt den Schweizer Pass, sondern eine B-Bewilligung mit dem berüchtigten Vermerk «Verbleib beim Ehemann». Das öffnete ein neues Kapitel in der Geschichte des (Un-)Rechts für Migrant*innen in der Schweiz, das bis heute nachwirkt. Auch kamen viele unserer Klientinnen aus Thailand, Brasilien und der Dominikanischen Republik – zu jener Zeit waren diese Länder bekannte Ziele für Sextourismus. Sie und andere Frauen aus Asien, Lateinamerika, Afrika hatten mit einer «Exotisierung» zu kämpfen, die mit Stereotypen und Vorurteilen einherging. Damals gab es noch den Cabaret-Status. Wir berieten viele der Frauen, die in Cabarets arbeiteten; meist in arbeitsrechtlichen Themen. Der Cabaret-Status war praktisch ihre einzige legale Möglichkeit, ohne Heirat in der Schweiz zu arbeiten. Und dann gab es die Verknüpfung von Frauen aus diesen Weltregionen, die im erotischen Bereich tätig waren. Dies führte zu Stigmatisierung. Wiederum war das Thema Frauenhandel in den 90er-Jahren auch nicht mehr neu, und es waren schon Fälle bekannt, die konkreter direkter Unterstützung bedurften und diese von der FIZ erhielten. Die FIZ erkannte bereits zu Beginn, dass es sich bei Menschenhandel um ein strukturelles Problem handelte, von dem Migrantinnen aus bestimmten Herkunftsregionen besonders betroffen waren. Ein Beratungsangebot war wichtig und richtig, doch die Lösung lag und liegt im politischen Bereich. Diese beiden Schwerpunkte der FIZ, die Beratung und die politische Arbeit, waren von Beginn an eng miteinander verknüpft und wurden schon im ersten Konzept der FIZ so beschrieben.

 

Mitunter durch dieses politische Engagement der FIZ wurde auch der Artikel 182 im Strafgesetzbuch (StGB) geschaffen, richtig?

Das war tatsächlich ein grosser Erfolg. Es gab immer Fälle von Menschenhandel. Aber wegen der Beweislage war es komplex, diese Fälle vor Gericht zu bringen. Mit der Präzision im StGB hat sich dies zumindest verbessert.  

 

Gab es in all den Jahrzehnten Veränderung bei der Zielgruppe der FIZ?

Die FIZ hat sich von «Frauen-Informationszentrun Dritte Welt» und dann «Frauen-Informationszentren für Frauen aus Afrika, aus Lateinamerika» zu für «Frauen aus Afrika, aus Lateinamerika und Osteuropa» und schlussendlich zu «Frauenhandel und Frauenmigration» entwickelt; und heute - 2025 - wird erneut ein Claim diskutiert, der unsere Zielgruppen besser benennt. Der Fokus lag am Anfang auf Klientinnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika, weil all diese Frauen gemeinsam hatten, dass sie viel schlechteren Rechtszugang hatten. Dann kam Osteuropa hinzu, weil mit der sogenannten Öffnung Europas mehr Frauen aus Osteuropa in die Schweiz migrierten und Frauen aus dieser Region einen ähnlich schlechten Zugang zu ihren Rechten - und somit denselben Beratungsbedarf - aufwiesen. Es hat sich also weniger die Zielgruppe an sich verändert, sondern vielmehr wurden die Herkunftsländer vielseitiger. Später kam die Gruppe von Asylsuchenden hinzu. Das brachte eine Palette von neuen Problemstellungen mit sich; bezüglich der Finanzierung ihrer Fälle aber auch bezüglich der rechtlichen Unsicherheit, die sie auszuhalten haben. Einen Einfluss auf die Spezialisierung der FIZ und ihre Zielgruppe hatten auch die Gründungen weiterer Stellen im Laufe der Zeit, wie zum Beispiel die SPAZ, die Anlaufstelle für Sans Papiers in Zürich oder das BIF für Betroffene von häuslicher Gewalt. Ihr Fokus unterscheidet sich von dem der FIZ, trotzdem gibt es Überschneidungen bei unserer Arbeit und unserem Engagement. Mit den Gründungen neuer Organisationen wurde das Netzwerk vergrössert und es führte jeweils zu einer höheren Spezialisierung bei den Zielgruppen. Ich empfinde die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen als sehr wichtig, denn eine NGO ist angewiesen auf andere Organisationen, Partner*innen und zivilgesellschaftliche Gruppen, um gemeinsam notwendige Veränderungen zu erkämpfen. Mensch macht diese Arbeit nie allein!

 

Wie haben sich die Beratungsthemen im Laufe der Zeit verändert und wie haben sich die Tätigkeiten der FIZ weiterentwickelt?

Das Thema Menschenhandel hat sich innerhalb der FIZ über die Jahre weiterentwickelt und seinen Stellenwert verändert. Damals hatten wir nur einen «Bereich», der zu allen Themen beriet. Wir berieten Opfer von Frauenhandel, Migrantinnen mit Cabaret-Status ebenso wie Opfer von häuslicher Gewalt. Es war ein Multitasking für die Beraterinnen. Als später erkannt wurde, dass es einer thematischen Spezialisierung bedurfte, weil wir uns in unterschiedlichen Handlungsfeldern bewegten, die fachspezifisches Wissen voraussetzten, schuf die FIZ die Unterteilung in zwei Bereiche. Die offizielle Trennung der beiden Beratungsangebote nach aussen erfolgte 2008 mit dem neuen Namen «FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration». Die Aufnahme beider Themenbereiche in den Namen war eine bewusste Entscheidung: Zum einen sollte das Thema Frauenhandel stärker in die Öffentlichkeit getragen werden, zum anderen war es wichtig, diese Beratungsarbeit klar von anderen Beratungsthemen abzugrenzen: Nicht alle Migrant*innen und schon gar nicht alle Sexarbeiter*innen sind Opfer von Menschenhandel.

Viele Themen von damals sind aber auch heute noch Inhalt der Beratungen. Damals wie heute werden Migrant*innen mit falschen Versprechungen in die Schweiz gelockt und ausgebeutet, also Opfer von Menschenhandel. Damals wie heute erleben Migrant*innen häusliche Gewalt und sehen praktisch keinen Ausweg, aus der Gewaltspirale auszubrechen, aufgrund der ausländerrechtlichen Abhängigkeiten. Damals wie heute erleben Migrant*innen, die als Cabaret-Tänzerinnen arbeiteten oder im Sexgewerbe tätig sind, Stigmatisierung und Diskriminierung. Was sich teilweise verändert hat, sind die Handlungsmöglichkeiten, vor allem dann, wenn die Sensibilisierungsarbeit der FIZ und anderer NGOs Früchte getragen hat und sich die rechtliche Situation für unsere Klient*innen verbessert (hat): Stichwort StGB 182. FIZ-Themen sind mittlerweile präsenter und bekannter in der Gesellschaft. Auch die Initiierung durch die FIZ des ersten kantonalen Runden Tisches zum Thema Menschenhandel 2001 trug dazu bei, dass verschiedene Akteure zusammenkamen und begannen, gemeinsam an einem kohärenten Unterstützungsprogramm für Betroffene von Menschenhandel zu arbeiten. 2004 eröffnete die FIZ mit Makasi das erste spezialisierte Opferschutzprogramm für Betroffene von Menschenhandel in der Schweiz. Die Finanzierung der spezifischen Beratung von Opfern wurde zunächst über ein Pilotprojekt sichergestellt. Gleiches galt für die Eröffnung der ersten Schutzwohnung 2011. Der spätere Entscheid der öffentlichen Hand, sich mittels Finanzierung am Erhalt der FIZ-Angebote zu beteiligen, hat die Arbeit nachhaltig geprägt.

 

Inwiefern hat die Veränderung bei der Finanzierung die Arbeit der FIZ geprägt?

Frauenhandel war immer ein Thema in der FIZ, aber es gab nur wenige öffentliche Finanzierungsquellen und die Organisation war früher abhängiger von Spendengeldern von Privatpersonen und Stiftungen. Heute ist der Anteil freier Spenden von Privatpersonen und Stiftungen für die Finanzierung von Fällen im Bereich Menschenhandel tiefer. Ein Teil unserer Arbeit lebt von Leistungsvereinbarungen mit Kantonen und Gemeinden, bei denen wir uns vertraglich verpflichten, bestimmte Leistungen zu erbringen. Das stabilisiert ein Programm dieser Grösse und die FIZ als Organisation ungemein und ist deshalb wichtig. Aber es hat als NGO auch die Kehrseite, dass die Abhängigkeit der Organisation von der öffentlichen Hand als Geldgeberin wächst. Schlussendlich ist es ein Balance-Akt. Und eine breit abgestützte, diversifizierte Finanzierungsstruktur bleibt wichtig.

 

Gab es Entwicklungen innerhalb der FIZ, die du als besonders prägend empfandest?

Ein wichtiger Meilenstein in der FIZ war die Einführung einer neuen Organisationsstruktur im Jahr 2012: Es wurde eine Geschäftsleitung mit einer Geschäftsführerin und vier Bereichen geschaffen. Damit wurde auch die Spezialisierung in den Themenbereich gezielt weiterentwickelt. Ebenso wurde der Bereich Finanzen und Administration gestärkt. Denn die FIZ wuchs und damit auch die Kosten. Deshalb musste auch der Fokus auf das Fundraising verstärkt werden. Die strukturelle Veränderung war notwendig und auch von den FIZ-Mitarbeiter*innen gewünscht. Aufgrund der kontinuierlich steigenden Anzahl von Mitarbeiter*innen – 2012 waren es etwa 17 – und wegen der zunehmenden Komplexität und Vielseitigkeit der Themen. Der Strukturwechsel mit neu einer Geschäftsführung brachte auch Herausforderungen, zum Beispiel veränderte sich dadurch die Zusammenarbeit als Team. Denn die Arbeit in den einzelnen Bereich wurde stärker fokussiert, was zu neuen Arbeitsformen und -weisen führte. Wir mussten uns mit neuen Fragen auseinandersetzen, beispielsweise wie der Kommunikationsfluss zwischen allen Mitarbeiter*innen und den verschiedenen Bereichen sichergestellt werden konnte.

Auch für mich persönlich brachten diese strukturellen Veränderungen neues. Die Arbeit als Beraterin war für mich sehr wichtig und erfüllend. Dennoch wollte ich mich auch mit anderen Themen beschäftigen, die in meinen Augen bedeutend waren. Ich tauchte einmal mehr in eine für mich fremde Welt ein: in den Bereich Finanzen und Personal. Ich habe den Eindruck, dass Finanzen in vielen NGOs zu wenig Beachtung finden, obwohl Finanzen sehr politisch und spannend sind. Ich hatte den Vorteil, dass meine Erfahrungen als Beraterin mir halfen, Arbeitsprozesse im Finanz- und Administrationsbereich besser strukturieren zu können– beispielsweise bei der Einführung der elektronischen Fallverwaltung und der Klientinnen-Buchhaltung. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus konnte ich zudem die Beratungsthemen in verschiedenen Diskussionen gut nachvollziehen und einbringen. Rückblickend war die Möglichkeit, unterschiedliche Funktionen zu übernehmen, sicher einer der Gründe, warum ich so lang in der FIZ gearbeitet habe. Die Arbeit war immer spannend, und ich konnte ständig Neues lernen. Aber die politische Haltung und die kämpferische Ausrichtung der FIZ waren für mich Hauptgrund, so lange zu bleiben. Es ist nicht selbstverständlich – und deshalb leider ein Glücksfall –, eine bezahlte Arbeit zu haben, die sowohl inhaltlich als auch ideologisch so erfüllend ist.

 

Gibt es Momente, Erfolge oder Kämpfe während deiner Zeit bei der FIZ auf die du besonders stolz bist?

Die FIZ als Organisation hat vieles bewirkt in ihrer Lebzeit, wir haben mehrere Themen aufs politische Parkett und in die Gesellschaft gebracht. Wir haben jahrelang für Bereitstellungskosten gekämpft, und jahrelang fehlte dafür die rechtliche Grundlage, bis endlich die entsprechenden Konventionen verabschiedet wurden – auch weil wir die Aufmerksamkeit darauf lenkten. Wir können auf ein starkes Netzwerk zurückgreifen, dass wir teils mitaufgebaut haben; Stichwort GAATW (Global Alliance Against Traffic in Women) oder Plateforme Traite, bei denen die FIZ Mitgründerin war. All das haben wir mit gut geleisteter, fundierter Arbeit erreicht; das ist für mich ein wichtiges Merkmal der FIZ. Und wir benennen Schwierigkeiten, kämpfen gegen Ungerechtigkeiten und zeigen Lösungen auf. Ich bin stolz auf diese Geschichte der FIZ.

 

Gibt es Themen oder Zielgruppen der FIZ, bei welchen sich die Situation nicht (nur) zum Besseren gewendet hat?

Wenn ich an die Situation von Sexarbeiter*innen denke, dann sehe ich einen anderen Diskurs heutzutage als damals. Einerseits wird Sexarbeit rechtlich offiziell als Arbeit anerkannt, gleichzeitig herrscht eine starke Doppelmoral in der Gesellschaft vor, die verhindert, dass diese legale Arbeit frei von Diskriminierung und Stigmatisierung ausgeübt werden kann. Die Entwicklung im Bezug auf das «nordische Modell» ist für mich sehr bedenklich, weil es unter dem Deckmantel vom «Schutz der Frauen» vorangetrieben wird. Dabei geht es vielmehr um einen moralischen Diskurs, was eine Frau machen darf oder sollte oder was eben nicht, denn es verunmöglicht praktisch die legale Sexarbeit und kommt einem Verbot gleich. Anstatt Schutz zu bieten oder Zugang zu Recht zu ermöglichen, wird für ein Verbot lobbyiert, dass mehr Missstände schafft, als dass es sie auflöst. Ja, die Sexarbeit ist ein schwieriges Arbeitsfeld, das effektiv viele Missstände hat. Umso wichtiger ist es, dass selbstbestimmte Sexarbeiter*innen nicht in die Illegalität gedrängt werden. Das nordische Modell ist eine Diskussion, die leider an vielen davon Betroffenen vorbeigeht und moralisch aufgeladen ist.

Auch für Asylsuchende und Migrant*innen aus Drittstaaten bleiben das gesellschaftliche Klima und Gesetze herausfordernd. Es gibt immer noch keine staatlich finanzierte Lösung für Opfer von Menschenhandel, die im Ausland ausgebeutet wurden. Migrant*innen, die aus Drittstaaten kommen, haben wenig legale Migrationswege und erfahren auch heute noch Diskriminierung und Ausgrenzung statt Integration.

 

Was wünschst du dir für die FIZ in der Zukunft?

Die FIZ hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Meilensteine beim Schutz von Migrant*innen (mit)geprägt, Themen sichtbar gemacht und konkrete Unterstützung für Betroffene geleistet – und gleichzeitig viel Gegenwind und zahlreiche Rückschläge erlebt. Dieser Zyklus wird sich wahrscheinlich fortsetzen. Ich wünsche mir für die FIZ deshalb, dass sie ihren Zielen treu bleiben kann und den Fokus nicht verliert: als intersektionale feministische Organisation, die für die Würde und die Rechte von Migrant*innen kämpft.

«Das war einfach so» 

Gespräch mit der ersten Staatsanwältin der Schweiz: 

Dr. iur. Annemarie Geissbühler-Blaser ist die erste Staatsanwältin der Schweiz. Sie verfolgt die Arbeit der FIZ seit deren Gründung und gibt uns bei einem Besuch in Ittigen bei Bern einen Einblick in die gesellschaftspolitische Lage zur Gründungszeit der FIZ. 

In Basel-Stadt wurde Annemarie Geissbühler im Jahr 1959 zur ersten Staatsanwältin der Schweiz gewählt. Ein sehr befriedigender Moment. Zuvor war sie als Adjunktin der Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern abgelehnt worden, weil sie nicht katholisch war. Und sie hatte eine Absage als Amtsvormund der Stadt Luzern erhalten, weil sie eine Frau ist. «Das war einfach so.» Dieser Satz fällt am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen in ihrem Esszimmer oft.
Angetrieben durch prägende Erlebnisse in ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld war für sie früh klar: Frauen brauchen Selbstbestimmung und Gesetze, die sie und ihre Kinder schützen. Aus dieser Überzeugung hat sie sich für die Einführung des neuen Eherechts 1985 engagiert
6. Aber: «Die Vorstellungen [der Männer] gehen nicht einfach mit einem neuen Gesetz weg. Nein, nein. Das braucht Generationen. Mir wird das immer wieder bewusst.»
Sie erinnert sich zum Beispiel an die empörte Reaktion eines Kollegen auf die Gründung des Frauenhauses in Bern (1980): «Braucht es das wirklich?» Als ob angekündigt worden wäre, dass ein Geisterhaus für Gespenster gegründet wird. In dieser Zeit tauchte einmal eine Bekannte mit gebrochenem Arm und blauen Flecken bei ihr im Büro auf. Nach ihrer Meldung bei der Polizei wurde der Mann zwar aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen, die Betroffene wurde aber ermahnt: «Überlegen Sie sich, womit Sie ihn so erzürnt haben.» Das war einfach so. Sie erinnert sich auch daran, wie Männer teils in die Beratung der Dreifaltigkeitskirche kamen, um sich darüber zu beschweren, dass ihre migrantischen Ehefrauen anders seien, als sie es sich vorgestellt hatten – nicht genug unterwürfig –, und dafür Lösungen besprechen wollten. Das war einfach so.
Ihr grösstes Anliegen ist, dass sich alle bewusst werden, dass es eine gesellschaftliche Verpflichtung ist, sich solidarisch zu zeigen und sich einzusetzen für Personen, die weniger Privilegien haben. Dass es eben nicht einfach so ist. Geprägt durch ihren strafrechtlichen Hintergrund, ihre vielfältige Beratungserfahrung und ihre vielen Gespräche mit ihrem Mann, der Theologe und promovierter Jurist war, ist für sie klar: «Wer schlechtergestellt ist, sollte Priorität haben. Aus Menschenrechtssicht, aus Verfassungssicht, aus moralischer Verantwortung, aus Verpflichtung.»

 

Dr. iur. Annemarie Geissbühler-Blaser, geb. 1932, wächst in Luzern auf. Sie verzichtet nach der Matura 1952 aus finanziellen Gründen auf das Medizinstudium und immatrikuliert sich an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. 1959 wird sie zur ersten Staatsanwältin der Schweiz gewählt. Später: Familiengründung, Einsitz in Expert*innenkommissionen, Rechtsberatung bei der Frauenzentrale Bern. 1981 wird sie als erste Frau zur Leiterin des Amts für Ehe-, Familien- und Jugendfragen des Synodalverbands der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn gewählt. 1997 wird sie pensioniert. Sie ist heute verwitwet, Mutter von vier Söhnen und Grossmutter von neun Enkelkindern.

Die Rolle der Kirchen in zivilgesellschaftlichen Räumen 

Zur Gründungszeit der FIZ waren auch die Kirchen wichtige Akteurinnen in den sozialen Bewegungen und im Kampf für Solidarität mit den Ländern des globalen Südens. Schon früh waren die Landeskirchen ein wichtiger Pfeiler zur Unterstützung und Finanzierung der Arbeit der FIZ – und sind es bis heute.* Ein Kommentar.


Zivilgesellschaftliche Räume sind der Bereich, der es der Zivilgesellschaft ermöglicht, durch den Erhalt von Informationen, das Führen von Dialogen, das Kundtun von Meinungen sowie die Organisation in Gruppen, eine aktive Rolle in der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Gesellschaft einzunehmen.7
Welche Rolle haben Kirchen und Glaubensgemeinschaften in der Zivilgesellschaft? Historisch haben sie immer wieder wichtige Beiträge für das Wohl und die Sicherheit der Zivilgesellschaft geleistet. Es existieren diverse Beispiele dafür, wie religiöse Akteur*innen zur Stärkung von zivilgesellschaftlichen Räumen beitragen, wenn sie sich als Teil der Zivilgesellschaft verstehen.8 Sie mobilisieren ihre Glaubensgemeinschaften, um soziale Themen wie die Rechte von wohnungslosen Personen in den Fokus zu rücken. 
Die Landeskirchen der Schweiz haben das Privileg, Steuern erheben zu können. Mit diesen und anderen Einnahmen unterstützen sie unter anderem soziale Projekte von Drittorganisationen. Die Arbeit der FIZ wird von verschiedenen kirchlichen Verbänden und Organisationen unterstützt. Häufig übernehmen sie Verantwortung gerade dann, wenn staatliche Akteur*innen ihre Aufgaben nicht wahrnehmen, etwa bei Pionierprojekten der FIZ wie «Menschenhandel und Asyl» oder «Arbeitsausbeutung in Privathaushalten». Die katholische Kirche im Kanton Zürich sagt dazu: «Unser Glaube betont die gleiche Würde aller Menschen, egal welcher Hautfarbe, Religion, welchen Geschlechts oder Alters. Auf dieser Basis engagieren wir uns. Die Arbeit [der] FIZ ist für uns deshalb in besonderer Weise unterstützenswert.»

Andere Beispiele zeigen jedoch, wie vor allem fundamentalistische Akteur*innen zum Verschwinden von zivilgesellschaftlichen Räumen beitragen. Der Zusammenschluss von fundamentalistischen Bewegungen aus religiösen, ökonomischen und politischen Kräften und der zunehmende Einfluss von rechtsautoritären Politiker*innen bedrohen zivilgesellschaftliche Räume und Freiheiten. Ihre Methoden dafür sind: Sie äussern sich nicht öffentlich zu Fällen von Ungerechtigkeiten; sie solidarisieren sich mit repressiven Politiker*innen und Regierungen; sie fördern die Einführung von Massnahmen, die sich negativ auf die Zivilgesellschaft auswirken, und sie prangern andere zivilgesellschaftliche Vertreter*innen an.10 Ein Beispiel dafür ist der Zusammenschluss von evangelikalen Geistlichen sowie der brasilianischen ökonomischen Elite und Jair Bolsonaro für dessen Wahl 2018.11
Ein Blick in unsere Entstehungsgeschichte zeigt, wie wichtig diese Allianzen waren, und erinnert uns daran, wie unverzichtbar sie auch heute sind. Denn was geschieht, wenn zivilgesellschaftliche Räume verschwinden? Zurück bleibt kein Vakuum, sondern ein Raum, der von neuen Akteur*innen gefüllt wird, zum Beispiel evangelikalen Gruppierungen, die gemeinsam mit autoritären Regierungen und Politiker*innen der Gesellschaft ihre Werte aufzwängen wollen. Deshalb bleibt es angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen unabdingbar, für den Erhalt von zivilgesellschaftlichen Räumen zu kämpfen, sodass Landeskirchen und nicht-fundamentalistische Glaubensgemeinschaften ihre Rolle und ihre Verantwortung in der Zivilgesellschaft wahrnehmen können.
 

Die FIZ ist konfessionell neutral.

© FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration 

www.fiz-info.ch

Texte und Interviews: Alicia Adams, Lelia Hunziker, Sole Lüthy, Mia Manaila, Géraldine Merz, Laura Rietschi, Georgiana Ursprung, Fanie Wirth

Redaktion: Mia Manaila, Géraldine Merz, Fanie Wirth

Design: Christina Baeriswyl

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Mit grosszügiger Unterstützung der Stiftung Zürcher Brockenhaus, 

der Stiftung Temperatio und der Adele Koller-Knüsli Stiftung.

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